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gelesen - gehört - gesehen

 Peter Fricke empfiehlt Gerhard Stadelmaiers „Regisseurstheater - Auf den Bühnen des Zeitgeists“.

Der Autor setzt sich hier kritisch mit den derzeitigen Theater-Spielplänen auseinander. (ISBN 9783866745223; Preis: 16,00 €).

 "Zum Stand der Dinge in Sachen Kultur" - Manuskript des Vortrags von Peter Fricke im Rotary Club Grünwald vom 24.02.2014 als:

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 In Eile formuliert und in´s unreine auch, aber herzhaft wichtig... Peter Fricke

G.Gründgens sagte seinerzeit in einem TV-Gespräch mit G.Gaus „ Nun wird's an Walter Riess hängen bleiben“. Gemeint waren seine Memoiren. So wird Fritz J.Raddatz sagen „ Nun ist's an H. Karasek hängengeblieben“ – in diesem Fall, die Beurteilung seiner Tagebücher. Nichts vergessen, nichts verzeihen, - so überschreibt H.Karasek seine bedauernswerten Auslassungen und wirft dem Klatsch, den er kritisiert, eigenen Klatsch nach, der auf die Bedeutung des Rezensenten hinweisen soll, also wie sehr er auf Augenhöhe mit Fritz J. Raddatz ist und natürlich vertraut mit den Personen in seinem Umfeld.

Dann natürlich die Gegenwehr, bei Raddatz Spitzen auf M.R.Ranitzki (nachvollziehbar) und das endet mit der Behauptung : „ F.J.Raddatz habe alles von Oscar Wilde ( meint aber wohl das Pfauenhafte, - auch das eine Art den Dichter zu sehen- ) – nur nicht den Stil.

Oscar Wilde auf den Dandy zu reduzieren ist etwa so, wie wenn man H. Karasek, auf eine massenkompatible Plaudertasche reduziert, die mit auffallender Fixierung auf Honorare, zu allem und jedem was zu sagen weiß, ob es nun in TV-Wett/Rate-spielchen, Schlagerfirlefanz der Sechziger, Jahrzehnte-Beurteilungen, wie auch bei so essenziellen Tätigkeiten, wie beispielsweise einem TV-Gespräch mit und über Thomas Gottschalk omnipräsent zu sein.
Diese Reduktion würde ja dem Rezensenten auch wenig gefallen, weil sie ihm nicht gerecht wird, aber wo ist denn bei ihm "der Stil" zu finden, der es erlaubt, Fritz J. Raddatz, das Stilbewußtsein eines O. Wilde abzuprechen. Sicher doch nicht?! Ich lasse mich dabei gerne korrigieren.

F.J.Raddatz gilt es ja nicht nur aus den Tagebüchern zu beurteilen, sondern im Wechselspiel zu den Büchern und Essay´s ect. – also dem, was ihn ausmacht im öffentlichen Erscheinungsbild. Die Beurteilung von H.Karasek ist nicht fair, nicht „hilfreich“ – sie steht ihm schlicht nicht zu. Er maßt sich eine Instanz an, die er schon lange nicht mehr abdeckt. „Jeder Eindruck, den du machst, verschafft dir einen Feind, um populär zu sein, musst du mittelmäßig sein“ schrieb Oscar Wilde.

Fritz Raddatz ist exzentrisch, scharf in der Analyse und auf eine klatschhaft witzige Art, ab und an ungerecht, oder auch daneben, aber er bringt uns Würze, durch seine Unangepasstheit und damit genau das, was dieser Gesellschaft fehlt, nämlich Persönlichkeiten mit nicht konsensbetonter Eigenprägung und Inspiration. Raddatz hat sich nicht dem Fernsehen angedient und steht in einer anderen intellektuellen Tradition. Ich habe ihn nur einmal im Philophischen Quartett gesehen.
Wie gewinnend menschlich er formuliert, kann man in dem Nachruf auf Paul Wunderlich, dem Lehrer von Horst Janssen, nachlesen, in der Welt vom 9.Juni 2010.

In Eile formuliert und in´s unreine auch, aber herzhaft wichtig.
Peter Fricke

 Bemerkenswert zu Lesen! "Automatisierungsdividende für alle. Roboter müssen unsere Rente sichern!"

18.05.2012 ·  Maschinen werden besser als Menschen, in allen Branchen. Eine Revolution bahnt sich an. Doch wir können die Folgen steuern: Wenn uns Roboter und Algorithmen in der Arbeitswelt ersetzen, sollten sie auch unseren Platz als Steuerzahler einnehmen.

Von Frank Rieger

Technologische Revolutionen befördern den Gang der Geschichte. Wir kennen das aus Schulbüchern. Und wir auch sind mittendrin. Merken es irgendwie - und ignorieren es doch. Dabei wissen wir doch: Die Auswirkungen großer Innovationswellen auf die menschliche Gesellschaft waren große soziale Verwerfungen, Revolutionen, Kriege und Völkerwanderungen. Das Aufkommen neuer Technik vollzog sich meist stockend und konnte durchaus ein paar Jahrzehnte dauern. Dann jedoch vollzogen sich die Umwälzungen schneller als die sozialen und ökonomischen Strukturen Schritt halten konnten. Die Weberaufstände, die Ludditen-Bewegung oder die Abwanderung der schwarzen Baumwollpflücker aus den amerikanischen Südstaaten als Folge und Voraussetzung der aufstrebenden Industrialisierung waren frühe Beispiele eines Prozesses, den unsere Gesellschaften immer wieder durchleben: Die etablierte ökonomische, politische und soziale Struktur wurde inkompatibel mit dem Stand der Technologie...

WEITER bei FAZ

 Gespräch mit Eckermann vom 25.Februar 1824

"Könnten Geist und höhere Bildung, sagte er, ein Gemeingut werden, so hätte der Dichter ein gutes Spiel; er könnte immer durchaus wahr sein und brauchte sich nicht zu scheuen, das Beste zu sagen. So aber muss er sich immer in einem gewissen Niveau halten; er hat zu bedenken, dass seine Werke in die Hände einer gemischten Welt kommen und er hat daher die Ursache sich in Acht zu nehmen, dass er der Mehrzahl guter Menschen durch eine zu große Offenheit kein Ärgernis gebe. Und dann ist die Zeit ein wunderlich Ding. Sie ist ein Tyrann, der seine Launen hat, und der zu dem, was einer sagt und tut, in jedem Jahrhundert ein ander Gesicht macht." von J. W. von Goethe

 Den Geschmack kann an nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten. Johann Wolfgang von Goethe

 Interview mit Peter Fricke am 31.JULI 1987 : Verlust von Kultur ist für ein Land sträflich — unser Fernsehen kommt seinem Auftrag nicht nach! Anspruchsvolles wird in die Nacht verbannt.

? Ein Argument für den Produktions- rückgang lautet: Wir habe keine guten Regisseure mehr. Umgeher, Staudte, Beauvais sind tot.

Es ist fast eine Unverschämtheit, zu sagen, wir hätten keine guten Regisseure mehr. Es gibt sie, nur stehen sie heute so unter Produktionszwang, daß man ihnen die Konditionen nicht mehr einräumt wie Umgeher oder Beauvais. In Serien wird zum Teil mit drei Kameras gedreht. Wie soll das ein Regisseur bewältigen? Er hat ja keine Übersicht mehr, er kann nurmehr arrangieren. Natürlich, die Produktionskosten werden immer höher, und die Auftragsproduktionen werden von den Sendern gedrückt. So steht ein entschuldigendes Argument gegen das andere. Man müßte mehr Geld in die Produktion und weniger in die Verwaltung investieren (Rheinischer Merkur - 31. Juli 1987). weiterlesen

 Hoch die Hochkultur!

Und nieder mit ihren Verächtern: Sie ist der Maßstab, den unsere Zivilisation nicht verlieren darf.

In Deutschland blüht die Hochkultur. Wieder ist eine Saison mit glänzenden Inszenierungen und Konzerten, großen Ausstellungen und erregten Podiumsdiskussionen zu Ende gegangen, haben Eltern ihre Kinder bei Musikschulen angemeldet oder zum Besuch eines altsprachlichen Gymnasiums animieren können. Auch wenn die Kommunen bisweilen unter der Last der Finanzierung ächzen, das eine oder andere Theater schließen oder traditionsreiche Sinfonieorchester zusammenlegen – es gibt eine Theater-, Opern-, Musik- und Museenlandschaft, die in ihrer Vielfalt und Breite in der Welt ihresgleichen sucht. (von Jens Jessen / 11.7.2011 Zeit Online - Kultur) weiterlesen

 Der verlorene hohe Stil.

Für Jean Racine - den berühmtesten klassischen Tragödien - Autor Frankreichs - war die Szene ein heilifger Bezirk. Man sprach hochdifferenzierte Verse, ließ sich dabei nicht so leicht beirren. Goethe führte in seinen Weimarer Dramen diesen Stil fort.

Es sind nahezu überhaupt keine Gegenstände auf der Bühne. Nur Worte, Gedanken, Ansprüche, wunderschöne Sentenzen oder weltweise Lebensregeln. Seelen begegnen, lieben oder bekämpfen sich bei einer abstrakten Sphäre offenbarer Leere. Der Dialog hat prozessualen Charakter, weil Ideen vor Gericht stehen. Beim gelegentlichen Monologisieren unterbricht man sich kaum. Erstaunlich, wie wenig reale Sachen, Gegenstände auch nur von den Blank-Verse-Sprechenden erwähnt werden.. (von Joachim Kaiser aus 7/2010 Rotary Magazin) weiterlesen

 Was macht ihr denn da?

Die Laudatio von Botho Strauß auf Jutta Lampe aus Anlass des Joana-Maria-Gorvin-Preises ist auch eine Abrechnung mit dem gegenwärtigen Schaugewerbe.

 Ach ja, Sprechkurs.

Ach ja, Sprechkurs. Dabei fällt mir ein, dass ich gerade gelesen habe, dass Desiree Nick seit zwanzig Jahren angeblich in klassischen und modernen Rollen auf deutschen Bühnen beschäftigt ist (steht als Vita in der Ankündigung eines Auftrittes). Wahrscheinlich hat sie bei dieser offensichtlichen Lüge ihren dicken „s“-Fehler geholt. Ich erinnere mich an meine Proben zu Neil Simons > Dinner-Party < in Berlin und den von ihr angezettelten „Zickenkrieg“ mit Anouschka Renzi, über die sie sich ganz spekulativ in Szene gesetzt hat, um sich bekannt zu machen. Damals kannte man sie nämlich allenfalls von Kleinkunstbühnen, - in Theaterkreisen überhaupt nicht. Erst über das Madenfressen im Camp des Privatfernsehens hat sie sich dann profiliert und einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Na, det is ne Karriere !

 BETTE MIDLER im Spiegel - Ein Interviewausschnitt

Midler: Die Strukturen des Filmgeschäfts haben sich gewaltig verändert. Die alten Hollywood-Mogule gibt es nicht mehr.
Natürlich litten viele unter deren diktatorischen Launen. Aber diese Tyrannen waren auch kluge Männer, die brillant den Geschmack des Publikums erkannten und trotzdem ihre eigenen Vorlieben pflegten. Heute sitzen in den Chefsesseln nur noch Juristen und Buchhalter, die sich um ihre Bilanzen sorgen. Was wissen solche Leute schon von Kunst? Sie setzen auf Filme, die
auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Publikums hinproduziert sind. Spektakel ohne Drehbuch, mal abgesehen davon, dass alle drei Minuten etwas explodieren muss. Die Rechnung ist einfach: Junge, männliche Teenager sollen sich diesen Schrott mehrfach ansehen und Hunderte Millionen Dollar dafür bezahlen.
SPIEGEL: Hat Ihnen diese Entwicklung die Lust am Kino genommen?
Midler: Es gibt nicht viele Rollen für Frauen meines Alters. Wo sind Diane Keaton und Goldie Hawn, meine Partnerinnen aus „Der Club der Teufelinnen", geblieben? Ich habe gerade in einem Remake von George Cukors Klassiker  „Die Frauen" mitgespielt und in einem Film, den die Oscar-Preisträgerin Helen Hunt für rund drei Millionen Dollar gedreht hat. Schöne Filme, die wenig kosten und ebenso wenig Gewinn einspielen.

 JEAN BAUDRILLARD - TEXTAUSWAHL

Alles, was man mit großer Geschwindigkeit durchquert, ist eine Wüste. Eine Stadt, die man im Auto durchfährt,eine Landschaft, durch die man auf der Autobahn rast, sie verwandeln sichautomatisch in Wüsten. Auch das Feld dermenschlichen Beziehungen, das von den ultraschnellen Strömen derKommunikation durchquert wird,verwandelt sich automatisch in Wüste. Esgibt eine wüstenartige Form des Raums, erzeugt durch die Geschwindigkeit. Es gibt eine wüstenartige Form des Sozialen, erzeugt durch Kommunikation und Information. Es gibt eine wüstenartigeForm der Zeit, erzeugt durch den Wechsel und durch die Beschleunigung. Was man erforschen müsste, sind eben diese Wüsten - die Wüsten der Verwüstung, die Wüsten, die aus einer totalen Erforschung entstehen und aus der Kontraktion, die darauf folgt und alle nicht privilegierten Zonen der endgültigen Verlassenheit preisgibt. Das sind die neuen Wüsten. Sie existieren auch im Bereich des Sozialen, wo sie nicht aus einer natürlichen Misere entstehen, aus einem Sozialisierungsmangel, sondern aus dem Prozeß der totalen Sozialisierung und ihrer Konzentrierung auf privilegierte Zonen, welche ganze Sektoren derVerlassenheit preisgeben — die dann zur vierten Welt werden. Die vierte Welt, das sind nicht die Opfer des weltweiten industriellen und imperialistischen Prozesses, das ist die dritte Welt. Diese war ein Opfer der Universalisierung des Westens. Die vierte Welt, das sind die Verlassenen, die durch den informatischen Prozeß aufgeopfert werden, durch die gigantische informatische Rezentration der Gesellschaft und folglich durch eine Entuniversalisierung der Systeme. Die dritte Welt wurde durch die Systeme der Expansion beraubt und unterdrückt.  Die vierte Welt hingegen wird einfach dem Nichts ausgeliefert, dem Nichts preisgegeben, durch die Bewegung des Zusammenziehens der Überkonzentration des Austauschs ihrer Inexistenz überlassen. Sie ist vom Weltkreislauf ausgeschlossen und kann zugrunde gehen. Sie ist zur Auslöschung verdammt, sie ist die eigentliche Wüste — produziert durch die Verwüstung der Zeit. weiterlesen

 Was ist Demokratie?
   Friedrich von Schiller / Nachlaß
   Dazu ein Auszug aus dem nie vollendeten und nicht aufgeführten Schauspiel "DEMETRIUS,
   aus dem 1. Aufzug. (Schiller sämtl. Werke in zwölf Bänden / Siebenter Band S.255,
   J.G.Cotta´scher Verlag, 1847)

Was ist Mehrheit? Mehrheit ist Unsinn;
Verstand ist stets bei Wen´gen nur gewesen?!
Der Staat muß untergehn, früh oder spät, Wo
Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet


 Die da murmeln, sind die Minderheiten? (Heiner Müller)

Man kann nur noch von den Minderheiten aus denken.   Gedacht wird nur noch an den Rändern, denn Bewegung   gibt es nur noch von den Rändern aus. Man muß wie Kafka vom Punkt derjenigen aus denken, die selektiert werden. Was schreit, sind nur noch die Minderheiten. Die Mehrheit hat das nicht mehr nötig. Die hat Autos und hupt allenfalls, bevor sie eine Minderheit auf offener Straße überfährt. Die Ausrottung von Minderheiten entspricht die Ausrottung von Biographien. Biographien sind Minderheit, wie jeder einzelne, solange er allein bleibt, eine Minderheit bildet. Die ausgerotteten Biographien bilden den Grundstock der Mehrheit, und der Schmerz über die eigene Ausrottung verkehrt sich in Haß gegen die Minderheiten. Andrè Gide schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg: "Einige werden die Welt retten."  Der Akzent lag auf  "Einige".

   Die Erinnerung als letzte Bastion des Subjekts?

Das ist die Voraussetzung. Es geht doch nicht mehr um den Untergang von irgendwelchen Klassen oder Lebensstilen,  sondern um den Untergang des Subjects selbst. Der Trend ist doch, daß die Leute nicht mehr, wie Gaev in Cechovs Kirschgarten, mit ihrem Schrank, also mit alten Erinnerungsstücken reden, sondern mit dem Fernseher. Aber der hat auf alles eine Antwort, kann alles erinnern. Das ist mörderisch, denn das höhlt das Subjekt erst langsam aus und frißt es dann auf. Dagegen hilft nur Kunst. Kunst machen ist nichts anderes, als mit sich selbst zu reden. Wer nicht mit sich selbst reden kann, kann auch nicht bewerkstelligen. Wenn man aber etwas tut, gibt es keinen Grund mehr, sich mit dem Alten zu beschäftigen. Man kann einen Text erst zu Ende schreiben, wenn man den nächsten schon im Kopf bewegt. Ein Kind gebiert das andere. Das ist ein genetischer Code. Die Stoffe sind relativ zufällig. Aber der Rhythmus von Schreiben, Malerei, Musik oder von was immer ist eine ganz subjektive körperliche Angelegenheit, eine Kommunikation mit dem ganz eigenen individuellen Code. Was sich um diese Moleküle schließlich gruppiert, ist objektiver Zufall.

Im Normalfall taucht die ganze Biographie erst in den letzten Sekunden des Lebens auf, im berühmten Sterbefilm. Erst dann weiß man wer man ist. Das ist der erste klare Blick auf den eigenen genetischen Code; damit hat man dann seine Schuldigkeit getan und kann gehen. Kunst ist der Versuch, die Zeit bis dahin zu verzögern, anzuhalten.

Der Erkenntnistrieb ist ein Todestrieb, und Kunst ist der Versuch, der Erkenntnistrieb zu betäuben, gegen ihn Widerstände aufzubauen.

Ein Leben ohne Kultur ist sinnlos, ist wahrscheinlich gar nicht menschlich, wenn man von Barnett Newman ausgeht: "Der erste Mensch war ein Künstler."  Dann war der zweite ein Ökonom. Das bedeutet, daß der Mensch, um Mensch zu werden, zuerst einen Traum brauchte, vorher konnte er gar nicht leben. So gesehen ist die Kunst die Vorraussetzung des Lebens, Bedingung der Ökonomie. Man muß nur Brechts Vorraussetzung umkehren. Wir haben die Wahrheit nicht, und die Realität ist nicht die Wahrheit. Der Raum zwischen Realität und Wahrheit ist der Ort der Kunst. Diesen Zwischenraum füllt Kunst als Praxis.

 Aus: Nicolaus Schubert - Jugend in Berlin 1933

Der gesellschaftliche und kulturelle Standard eines Volkes, ja wir können ruhig sagen eines Volkes, obwohl sich ja das Wesentliche in den Städten abspielt, Sache einer kosmopolitischen Urbanität ist, wird nun einmal durch tonangebende Häuser geprägt. Wenn es sie nicht mehr gibt, herrschen die Boutiquebesitzer, Schneider, Photographen, Coiffeure und Kunsthändler, die schließlich zum wichtigsten Umgang  der reichen Leute werden, und die Öffentlichkeit bekommt als Vorbild höherer Lebensformen nichts anderes geliefert als die Kaufgewohnheiten der Konsumgesellschaft auf der höchsten Einkommensstufe, die die Medien, mehr durch Werbung als durch eine Berichterstattung-denn was sollten sie berichten-, vermitteln. Die Leute führen dann auch auf ihren Kleidern und Accessoires, ihrem Gepäck und ihrem Geschirr nicht mehr ihre Wappen oder Initialen, sondern die Initialen und Warenzeichen der Geschäfte, in denen sie kaufen. Lächerlich! Das fehlende Personal ist kein Grund, höchstens ein willkommener Vorwand Schuld ist eine Unfähigkeit, mit den erforderlichen Hilfskräften umzugehen und sie, wenn nötig, anzulernen. Im Grunde handelt es sich um eine falsch verstandene Vorstellung von demokratischen Lebensformen. Auch eine demokratische Gesellschaft braucht Vorbilder und Leitbilder, die nicht  nur von den fixen Jungen in den Werbeagenturen erfunden werden. Nichts ist demokratischer, als wenn die reichen Leute ihr Geld vorbildlich ausgeben, d.h. in Lebenskultur umsetzen. Noblesse oblige.

 Die große Flucht aus der Sprache - Stuttgarter Zeitung
 
   Undurchschaubarer Geheimcode


Die eilige Flucht aus der Sprache erreicht ihren End- und Höhepunkt  in der Buchstabenformel, ein zunächst schleichender Prozess, der schon vor Jahrzehnten begann, der sich in der Nachkriegszeit festgesetzt hat und nunmehr in einer immer stärker um sich greifenden Abkürzungswut kulminiert. Kurzwörter sind offenbar immer noch zu viel Aufwand, ein paar Buchstaben tun's schließlich auch Wenn man  weiß, was sie bedeuten. Wer den Code nicht versteht, ist nicht mehr in und deshalb hoffnungslos out.

Die nackten Verständigungskürzel, die sich von Tag zu Tag vermehren, bilden zusammen eine für Nichtspezialisten immer undurchschaubarere Geheimsprache. Wohin sind die seligen Zeiten, als man nur zu wissen brauchte, was SOS, VW, PC oder TV bedeuteten. Bis zur CD und zum DVD mögen sich Technikeinsteiger noch durchgerätselt haben. Wer aber heute wirklich mitreden will, der darf sich kaum noch auf irgendeine saubillige Werbebeilage einlassen, die uns mit Buchstabenkombinationen bombardiert, bis uns die Lettern von PTV und DVB, PTV und TFT um den Bildschirm flimmern.

Ignoranz und ihren Kundenberatern überlassen, würden die Buchstaben nicht immer mehr zu Pseudowörtern, die aggressiv die gewachsene Sprache verdrängen, den Bedeutungsspielraum verengen und jede Anschauung verleugnen. Was zunächst nur witzig sein will, wird zunehmend zur gelallten Ersatzsprache, bar jeder Assoziationskraft, jeder Farbe, jeder synonymen Aura. Mühelos kommt Beschreibung mit Maßangaben von der Stange aus: XXL ist jetzt alles, was uns groß und gewichtig erscheint, selbst die Wiedergabe einer XXL-Partitur, wie jüngst zu hören war. So triumphiert, was eigentlich humorig unterlaufen werden sollte, am Ende auf peinliche Weise.

Wer oder was die Hauptschuld an der grassierenden Sprachverkümmerung trägt, ist allerdings nicht leicht auszumachen. Gründe findet man viele, einige wurden schon angesprochen. Auch die unzureichende Spracherziehung: Nein, die Schule kann man nicht freisprechen. In ihrem stressigen Alltag begnügt sie sich vielfach mit dem Ausfüllen von vorgedruckten Formularen. Sie fordert keine selbstständige Formulierung mehr und trägt so zur Ausdrucksarmut bei. Sollte die Arbeit- am- Computer…? Nein, nein: alles kann man ihm nicht zuschieben. Alles lässt sich nicht auf die Digitalisierung, auf die Informations- und Medienwelt zurückführen. Nur kann man den Verwaltern dieser Informations- und Medienwelt kaum ein sensibles Problembewusstsein zubilligen. Zeigen sie sich doch mehr als gleichgültig vor der Frage, ob uns die kürzere, allzu selten bündigere Sprechweise reicher oder ärmer macht. Aber es ist ja auch wahr: Was brauchen wir noch Subjekt, Objekt und Prädikat, was sollen uns diese großspurig daherkommenden, sinngeschwängerten Nomen, dieses lästige Beiwerk bildhafter Adjektive. Weg damit und ab in den Duden! Der Rest ist Schweigen.


 Selbstgewählte Dummheit von Juli Zeh

   Würde man heute jungen Eltern die Frage stellen: „Was hättet ihr lieber, ein schlankes Kind oder ein fettes, das den Dreisatz kann?“ - ich würde für die Antwort keine Hand ins feuer legen. weiterlesen


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